Auszug aus "Meditatives Fahrradfahren":

 

Fahrradfahren, Fahrräder und Fahrradfahrer 

 

 

 

Das Fahrradfahren ist ja gewissermaßen eine nicht ganz rational nachvollziehbare Angelegenheit, wenigstens bei uns im Schwarzwald, vielleicht aber auch anderswo. Zumindest als Fortbewegungsmittel, könnte man meinen.

 

Trotzdem gibt es ja eine nicht gerade geringe Zahl von Zeitgenossen auch im Schwarzwald, die diesem Drang, sich auf die verschiedensten Drahtgestell zu begeben, sich den Hintern zu malträtieren, sich Genickschmerzen einzuhandeln und ähnliches mehr, zwar oft selbst nicht ganz erklären können, es aber trotzdem tun. Und auf die hat es dann auch eine ganze Reihe wunderlicher Auswirkungen. Das trifft auch auf mich zu, weshalb ich mich schon in frühester Jugend auf die verschiedensten Fahrräder schwang und glücklich in der Gegend herumkurvte.

 

Das erste war ein altes Herrenrad, das im Keller stand und von niemandem mehr genutzt wurde. Da ich zu klein war, um meine Beine über die Querstange zu bekommen, stieg ich mit dem rechten Bein durch die Öffnung über den Pedalen und kurvte als bald zügig auf unserem Hof herum. Trotzdem musste natürlich ein eigenes  Fahrrad her. Anders, als heute, wo man mit zwei Jahren schon ein Lauffahrrad bekommt, ohne Bremse!, mit vier dann ein Minifahrrad mit mindestens sieben Gängen, gefolgt von einer ganzen Reihe von altersmäßigen nutzungsspezifischen Rädern, Mountainbikes, Auf-der-Stelle-Hüpfräder, Auf-das–Hinterrad-steh-Räder“, „Bergab-Räder“, „Bergauf-Räder“, „Rennräder“, usw., hatte ich mit sieben nämlich immer noch kein Rad, weshalb ich dann einer befreundeten Familie ein mittelgroßes Kinderfahrrad abschwatzte. Obwohl ich mich heute in der Erinnerung dabei eines irgendwie gearteten peinlichen Gefühls nicht erwehren kann, war ich damals anscheinend, was das betrifft, entschieden hartgesottener. Es fuhr, es sah nicht schlecht aus, das war Begründung genug. Also das war mein erstes Fahrrad. Dann bekam ich mit ungefähr acht oder neun Jahren tatsächlich ein eigenes, neues, von meinen Eltern geschenkt, sicher ohne Gangschaltung. Obwohl die saarländisch-pfälzische Hügellandschaft, zu der Sankt Ingbert gehört, wo ich die ersten 12 Jahre meines Lebens verbrachte, auch nicht ganz ohne war, genügte es aber.

 

Mit dem fuhr ich dann auch noch nach unserem Umzug in einen Vorort von Saarlouis ins Gymnasium, 8 km hin und wieder zurück.

 

Als ich 15 war, wurde das straßentaugliche Rennrad, also mit Schutzblechen und Gepäckträger, erfunden, so eins wollte ich!

 

Meine Mutter hielt das aber für absolut unnötig, was sollte man denn vor allem mit den vielen Gängen, wenn es drei auch taten? Also bekam ich auch keins!

 

Ich war aber fest entschlossen und verdiente mir das Anschaffungskapital, indem ich in den Wald arbeiten ging.

 

Als Sohn eines Forstmeisters hatte ich es leicht, zu einem Ferienjob zu kommen, im Wald wurden immer Hilfen gebraucht, nur musste dann dort tatsächlich relativ hart gearbeitet werden, z.T. sogar im Stücklohn. Meist wurde ich von meiner Schwester oder einem Freund unterstützt. So strichen wir frisch gepflanzte Nadelbäumchen mit einem schwarzen, stinkenden Teerzeug an, gegen Wildverbiss, entasteten Bäume bis auf eine Höhe von ca. einem Meter fünfzig, natürlich mit der Handsäge, säuberten Bachläufe von hineingefallenen Ästen oder pflanzten sogar kleine Fichten.

 

Das ging folgendermaßen vor sich: Wir bekamen einen Eimer mit ca. 50 Pflänzchen ausgehändigt und dazu eine Doppelhacke, auf der einen Seite eine axtartige Schneide und auf der anderen eine herzförmige Hacke. Man schlug also zuerst mit der Axt und dann mit der Hacke in den Boden und zwar so, dass eine kreuzartige Öffnung entstand, die dann mit dem Spatenteil aufgeklappt wurde. Dort hinein steckte man das Pflänzchen und trat es rundherum mit dem Stiefel fest. Fertig.

 

Nach den Ferien hatte ich mir das Geld für das Fahrrad glaube ich redlich verdient und war dann bald darauf der stolze Besitzer eines Straßenrenners.

 

Mit dem konnte man natürlich wunderbar in der Gegend herum radeln, mal mit tiefen, mal mit hohem Lenker, wie wir die Lenkstange nannten, je nachdem, ob wir gerade sportlich oder „rockermäßig“ drauf waren. Denn mit dem ein oder anderen Vorläuferfilm von „Easy Rider“ waren auch Mitte der sechziger Jahre die ersten Motorräder mit Hochlenker im Saarland gesichtet worden und hatten bei uns Jungs einen nachhaltigen, aber auch durchaus heftig diskutierten Eindruck, hinterlassen.

 

Für etwas materialraubendere Gelegenheiten hatten wir dann noch unsere alten Räder. Im Stadtpark hinter unserem Haus spielten wir Fahrradfangen, was natürlich nicht  ohne Blessuren an Armen und Beinen, sowie Felgen, Schutzblechen und Gepäckträgern, abging. An den letzteren, den Gepäckträgern, konnte man den, den man gerade verfolgte, gut festhalten, um ihm anschließend einen kräftigen Schlag zu verpassen.

 

Es folgten im Lauf der Jahre noch einige andere Räder von kürzerer oder längerer Lebensdauer. Bei einem Werbefahrrad des „Stern“ knickte mir einmal die Sattelstütze während der Fahrt nach hinten ab, ich hatte plötzlich  das Gefühl irgendwie zu weit hinten zu sitzen, woraufhin ich auf die weiter Nutzung dieser „günstigen Gelegenheit“ lieber verzichtete.

 

Schließlich schafften wir uns für die Schule dann vor ca. 15 Jahren einige Fahrräder der Marke „Steppenwolf“ an, sinnigerweise, bei unserem Loßburger Händler Mischa Kalmbach, worauf wir kurzerhand auch einige für die Kollegen privat mitbestellten. Das fahre ich jetzt immer noch.

 

Das ursprüngliche Mountainbike mit Straßenausrüstung, Schutzblechen und Gepäckträger, habe ich allerdings altersgemäß leicht verändert. So habe ich wegen der immer öfter auftretenden Genickschmerzen zunächst den geraden Mountainbike-Lenker durch einen mehr geschwungenen und das kurze Zwischenstück gegen ein höheres  ausgetauscht und wegen des ebenfalls  immer öfter aufgetretenen tauben Gefühls in den edlen Körperteilen auch schon mehrere Sättel durchprobiert. Selbstredend kam ein breiter Gehlsattel nicht in Frage, ersten schwitzt man darauf und zweitens, wie sieht das denn aus?

 

So tut´s nun ein nicht ganz so dünnes, aber doch gerade noch als Männersattel identifizierbares Exemplar. Vorne nicht ganz so lang und spitz und hinten nicht ganz so hart und etwas abgepolstert.

 

 Da ich mich ja doch eher nur sporadisch aufs Fahrrad schwinge, dank anderer zeitraubender Hobbys, wie zum Beispiel mit dem Schubkarren über die Wiesen sprinten und Pferdeäpfel aufsammeln,  und vielleicht auch wegen einer gewissen Hemmschwelle, die rein geographisch sozusagen vor unserer Haustür beginnt, blieb es bei dem einen Rad, das einfach für alle Gelegenheiten herhalten muss.

 

„Vor unserer Haustür“ bedeutet, dass zwischen der Haustür in Wälde „Am Wald“, das sind die 10 Häuser, die dem Teilort vorgelagert sind, und Loßburg, unserm Hauptort und 26 Jahre Ort meiner Arbeitsstelle, ein Höhenunterschied von fast 300 m auf 3 km zu überwinden sind. In die andere Richtung sieht es so ähnlich aus, man muss, um aus unserem Tälchen, dem Heimbachtal, herauszukommen, immer den Berg hoch klettern.

 

Also ein Fahrrad für alles, mit 26er Felgen und 24 Gängen immerhin, was ich erst neulich bemerkte, als ich mal nachzählte. Und keine drei bis vier Fahrräder, für jede Gelegenheit ein spezielles. Für eingefleischte Vielfahrer ist das vielleicht Sparen am falschen Fleck, aber bis jetzt habe ich ja auch noch keine Felgen durchgebremst, keine Kette abgefahren und keine Schaltung zum Rauswerfen der Zahnräder genötigt.

 

Auch meine Kleidung ist eher spartanisch. Zwar habe ich mir im Laufe der Jahre doch mal einige Funktionshemden gekauft, weil ich dachte, vielleicht findet sich dann auch die Zeit zum Joggen, was sich aber als Irrtum herausgestellt hat. Doch dieses Ausstaffieren mit dem entsprechenden Radfahrerdress liegt mir fern, ist mir auch irgendwie fremd. Es soll ja ein paar Fahrer geben, die tatsächlich schon einmal am Schwarzwald Ultra Marathon teilgenommen haben, wie mein Freund Walter, ca. 5000 Höhenmeter auf 250 km an einem Tag, da find ich es ja noch nachvollziehbar, wenn man sich mit einem „SUM-Trikot“ gewandet, „SUM“ für „Schwarzwald Ultra Marathon“, aber sonst? Wie wenn man Teil weiß-Gott für einer Mannschaft wäre.

 

Auch verschiedene Fahrradhosen nenne ich mein eigen, aber die ziehe ich auch lieber unter eine kurze Hose an, da sind auch mehr Taschen dran. Und Klick-Schuhe habe ich natürlich keine, das ist mir zu gefährlich, gleich wie ökonomisch das vom Kraftaufwand auch sein mag.

 

Also steht einer Tour theoretisch nichts mehr im Wege.